Keine Großstadt in Europa hat unter dem Nazi-Terrorregime mehr gelitten als Warschau. Nach dem Abzug der deutschen Truppen war die Stadt zum größten Teil zerstört und praktisch unbewohnbar. Umso bemerkenswerter ist die beachtliche Leistung, die die Polen für den Wiederaufbau erbracht haben.
Heute zeigt sich ein modernes Stadtbild, an dem internationale Stararchitekten wie Norman Foster und Daniel Libeskind mitgewirkt haben. Doch die ersten Schritte beim Wiederaufbau wurden bereits unmittelbar nach dem Krieg unternommen und hatten den originalgetreuen Aufbau der Altstadt zum Ziel.
Später wurden die Straßen Miodowa, Diuga und Senatorska wieder aufgebaut. Außerdem wurden unzählige Paläste und Palais wieder hergestellt.
Ein zentrales Thema der Kriegsgeschichte in Warschau stellt das Warschauer Ghetto dar, in das hunderttausende Menschen gepfercht und später in Konzentrationslager deportiert wurden. Eine besondere Rolle spielt das Gefängnis Pawiak, in dem 37.000 Menschen ermordet wurden und 60.000 an Konzentrationslager weitergeleitet wurden. Heute ist es ein Museum. Ein weiteres bedeutendes Museum ist das Museum der Geschichte der polnischen Juden.
Wir wollen aber die Viertel und Gebäude des Warschauer Ghettos sehen und machen uns auf die Suche. Dabei ist uns bewusst, das fast alles nach dem Krieg zerstört war und viele Plattenbauten auf dem Gelände errichtet wurden.
Wir fahren mit der Metro zur Station Metro Ratusz Arsenal. Hier befand sich ursprünglich die Hauptsynagoge von Warschau bis zu ihrer Sprengung.
Von der Synagoge gibt es aber keine Spur mehr. Es soll zwar eine Gedenktafel (Warsaw Ghetto boundary marker) irgendwo geben, aber wir sind nicht wegen Gedenktafeln gekommen. Wo einst die Synagoge stand befindet sich heute das Blue Tower Plaza, ein Bürokomplex der an der Spitze das Logo des Versicherungskonzerns MetLife trägt.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Rathaus der Stadt Warschau mit dem Sitz des Oberbürgermeisters. Am linken Ende des Komplexes befindet sich im runden Anbau der ehemaligen Börse das Muzeum Kolekcji, im Jana Pawła II.
Hier befindet sich die bedeutendste Sammlung europäischer Kunst in Warschau, die Papst Johannes II gewidmet ist. 450 Exponate wurden von Zbigniew und Janina Porczyński gestiftet.
Wir biegen ab in die Senatorska. Hier befinden sich das Teatr Wielki Opera Narodowa, das Nationaltheater und die Nationaloper. Im schönen wiederaufgebauten Gebäude gegenüber ist heute eine Bank.
Wir erreichen den Piłsudski Square. Zur linken Hand befindet sich das Metropolitan-Bürogebäude das von Norman Foster entworfen wurde.
Hier befand sich bis 1924 die russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale. An der Südseite des Platzes steht der rechteckige Komplex des Hotel Victoria. Daneben die lutherische Dreifaltigkeitskirche.
An der Westseite befand sich das Sächsische Palais. Nur noch ein Fragment der Säulenarkaden erinnert daran.
Darin ist das Grabmal des unbekannten Soldaten untergebracht, neben dem zwei Soldaten eine Mahnwache abhalten.
Neben der Mahnwache steht eine musikalische Bank, die Melodien von Chopin abspielt. Frederic Chopin war ein polnisch-französischer Komponist, der in Żelazowa Wola im Herzogtum Warschau geboren wurde. Der Vater war Franzose, die Mutter Polin.
Im Westen schließt der im Barockstil angelegte Sächsische Garten an, der von König dem Starken (August II.) angelegt wurde. Später wurde er in einen Englischen Landschaftspark umgestaltet.
Die Ulica Prózna Straße ist die einzige Straße des Warschauer Ghettos in der sich noch vier Mietshäuser befinden, die vollständig renoviert wurden. In der Nummer 7 ist das österreichische Kulturforum untergebracht.
Der anschließende Grzybowski Platz wird vom 160 m hohen Cosmopolitan Twarda 2/4 mit Verkaufsflächen, 252 Wohnungen und vier Penthouses dominiert. An der Südseite versteckt sich die katholische Allerheiligenkirche, in der auch bereits Papst Johannes II. eine Messe gelesen hatte.
Hier sehen Sie das 4K UHD Video
Im unteren Teil des Cosmopolitan Twarda ist ein faszinierendes Kunstobjekt mit einer Frau und einem Mann auf einem Schwebebalken integriert.
Gut versteckt und kaum zu finden hinter dem Hochhaus liegt die Nożyk-Synagoge. Es ist einzige Synagoge in Warschau, die den Krieg überlebte. Ab 1941 wurde sie als Lager verwendet. 1983 erstrahlte sie wieder in altem Glanz.
Wir überqueren die Jana Pawla II bei den Mirowska Markthallen, die ursprünglich ein Bahnhof waren.
Vorbei an der Feuerwache und der katholischen Kirche der Pfarrei des Apostel St. Andreas erreichen wir den markantesten Punkt in Warschau, der an das Ghetto erinnert.
Die Kreuzung zwischen Chlodna und Zelazna, an der der Übergang zwischen Ghetto und kleinem Ghetto war.
Eine Brücke über der Straße verband die beiden Ghetto Teile.
Heute erinnern nur 4 senkrechte Stahlträger an den Standort der Brücke, rote Markierungen im Bürgersteig an die Mauern des Ghettos.
Daneben sind in Säulen Diaprojektoren eingebaut, mit Hilfe derer man einige historische Bilder des Übergangs sehen kann.
Am ehesten kann man sich noch in der Waliców Straße 14 einen Eindruck von den beengten Verhältnissen im Ghetto machen. Hier stehen noch zwei halb verfallene Häuser. Aber große Hoffnung auf deren Erhalt haben wir nicht, da sich die Business Zentren immer weiter und rascher ausdehnen.
An der gegenüber liegenden Straßenseite hat man einen Rest der Ghetto Mauer in das Fundament eines modernen Bürohauses integriert.
Zuletzt kommen wir zum Bersohn-Bauman-Kinderkrankenhaus, das 1878 für jüdische Kinder gegründet wurde. Ab 1940 wurde das Krankenhaus in das Ghetto eingegliedert. Am 11. September 1942 wurden die Patienten und der größte Teil des Krankenhauspersonals nach Treblinka in das Vernichtungslager deportiert.
Anfang 1943 befand sich im Krankenhaus wieder eine Kinderklinik. Sie bestand bis zum Warschauer Aufstand. August bis Oktober war die Klinik die einzige professionelle medizinische Einrichtung im Zentrum von Warschau. Ende des 20. Jahrhunderts beherbergten die Gebäude das Landeskrankenhaus für Infektionskrankheiten.
2016 wurde der Betrieb eingestellt und das Gebäude zum Verkauf angeboten. 2017 ersuchte das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe die Regierung das ehemalige Krankenhaus zu pachten und dort das Museum des Warschauer Ghettos einzurichten.
Wir erreichen wieder die Hochhäuser im Business District, zwischen denen sich unsere Unterkunft befindet. Schlussendlich sind wir doch etwas betroffen, nur so wenige Zeugnisse dieser unermesslichen menschlichen Leiden gesehen zu haben und vermutlich werden auch die letzten Reste mit dem Vordringen der Bürokomplexe bald für immer verschwinden.
Bitte lesen Sie weiter > Mit dem Zug von Warschau nach Prag
Pin it – für später merken
Text, Fotos und Video: Copyright © myVideoMedia
Soundtracks im Video:
- Between Worlds (Instrumental) by Aussens@iter (c) copyright 2017
Licensed under a Creative Commons Attribution (3.0) license. http://dig.ccmixter.org/files/tobias_weber/56664 Ft: (Smiling Cynic) - Orc March Choir by copperhead (c) copyright 2014
Licensed under a Creative Commons Attribution (3.0) license. http://dig.ccmixter.org/files/copperhead/45110 Ft: Snowflake, Wolf Sebastian
This post in:
English
Schreibe einen Kommentar